Die Nachricht

Von Anna-Marie:

Es war ein furchtbarer Tag. Ich weiß noch: Ich kam zu Besuch nach Hause und alle waren so komisch und haben nichts gesagt! Ich habe gleich gefragt wo Robert ist. Mein Vater sagte: "Der ist in seinem Zimmer, dem geht's nicht gut!" Ich fragte warum, aber mein Vater konnte nicht antworten - also bin ich runter in Robbys Zimmer gerannt. Auch er saß wie erstarrt vor dem PC auf 'nem Stuhl und wusste glaube ich nicht was er da macht, machen wollte oder getan hat! Also fragte ich ihn.

Er sagte: "Benni ist tot!"
Wie jetzt? Das kann doch nicht sein!?

Auf der Beerdigung von Benni war ich zusammen mit meinem Bruder und meinem Vater. Schon als wir vor der Kapelle standen konnte ich kaum meine Tränen zurückhalten, aber als wir hinein gegangen sind, das Lied "der Weg" gespielt wurde und mich dann auch noch seine Augen anfunkelten mit dem riesen Panamahut auf dem Kopf - da wars vorbei!

Immer, wenn jetzt der Name Benni fällt ist die Stimmung gedrückt (verständlicherweise). Es dauert aber nicht lange und dann werden tolle Sachen erzählt - was er für ein toller, lustiger und spontaner Typ war! Alle vermissen ihn sehr und bei allen lebt er im Herzen weiter!

...eine Geschichte die mir gerade mal wieder das Herz zerreist...


Von Britta:

Ich schlafe noch als in aller Herrgottsfrüh das Handy neben meinem Bett klingelt. Diana meldet sich mit einer Stimme, die ich kaum wieder erkenne. „Britta, es ist was ganz Schlimmes passiert!“ – Noch denke ich an ihre bevorstehende Soziologieprüfung. – „Mein Bruder liegt im Sterben!“ Was? Das kann nicht sein! Ich versuche Diana zu beruhigen und herauszubekommen, was geschehen ist. Sie erzählt mir von einem Unfall, dass Benni im Krankenhaus sei und es ihm sehr schlecht ginge. Ich lass mir nur noch schnell erklären, wie ich sie finde und mache mich auf den Weg. Im Treppenhaus begegne ich meinem eigenen Bruder und mir stehen Tränen in den Augen als ich ihm berichte, weshalb ich so früh auf bin und wo ich hin will.

Ich weiß nicht mehr wie ich die Kilometer von Neetze nach Harburg hinter mich gebracht hab. Es ist ein wunderschöner Morgen. Ich bin vor dem Berufsverkehr unterwegs und die Welt sieht in der Morgenstimmung so friedlich aus – da kann doch gar nicht so was Schreckliches passiert sein! Ich mache mir Sorgen, was mich in Harburg erwartet. Wie wird es Benni gehen? Konnten die Ärzte etwas für ihn tun? Oder lebt er vielleicht schon nicht mehr, wenn ich dort ankomme? Was soll ich nur Diana sagen? Oder ihren Eltern?

Am AKH finde ich zu der Uhrzeit schnell einen Parkplatz und mache mich auf die Suche nach Diana. Sie kommt mir schon entgegen als ich noch draußen bin. Wir setzen uns auf eine Bank, sie raucht, wir reden… Immer wieder macht Diana sich Vorwürfe, dass sie Benni nicht gesagt hat, wie lieb sie ihn hat. Sie berichtet mir vom Unfall, von dem, was sie weiß, denn vieles ist noch unklar.

Ein Weilchen später gehen wir rein zu ihren Eltern. Es kommen immer wieder Ärzte, aber keiner bringt gute Nachrichten. „Wir wollen ihnen keine falschen Hoffnungen machen!“

Gegen 8 Uhr werden wir nach Hause geschickt. Benni wird immer noch operiert und die Familie soll später wieder kommen.

An diesem Morgen bin ich geschockt von der Nachricht des Unfalls, möchte einerseits für Diana da sein und andererseits komme ich mir auch ein bisschen wie ein Eindringling in die Familie in dieser so privaten und intimen Situation vor. Ich entschließe mich Mayers „allein“ zu lassen und fahre zurück nach Neetze.

Als erstes treffe ich wieder meinen Bruder und sage ihm, vielleicht zum ersten Mal mit Worten, wie lieb ich ihn hab.

Dann fahre ich zur Uni. Ich rufe noch mal bei Diana an, um zu hören, ob es was Neues gibt. Bennis Zustand hat sich nicht verbessert. Ich gehe zu Frau Becker, um Dianas Prüfungstermin abzusagen.

Mittags dann der Anruf von Diana.

Benni hat es nicht geschafft.

Ich glaube, dass ich seit Bennis Tod mehr über ihn erfahren habe als zu Lebzeiten.

Benni, ich finde es ganz beeindruckend, wie sehr deine Familie dich liebt und wie sehr man das Gefühl hat, dass du immer noch da bist. Dass du trotz deines Todes immer noch ein Mitglied dieser Familie bist und es auch immer sein wirst.


Von Robert:

Ich war mit Benni am 28. Juni 2004 an der Ostsee. Am nächsten Tag habe ich dann einen Anruf von einem guten Freund erhalten. Er sagte nur mit einer betroffenen Stimme: "Benni ist tot. Er ist gegen einen Baum gefahren." Ich dachte am Anfang, dass er mich auf den Arm nehmen will und ich wollte ihm nicht glauben. Ich wusste nicht was ich machen sollte und ich fuhr einfach total geschockt zu euch. Als ich dann deinen Vater sah, wurde mir ganz anders. Es war wahr. Mir wurde schlecht.
Ich weiß noch ganz genau, wie ich bei euch auf dem Sofa saß, wir schwiegen und einfach nur weinten. Es war so grauenhaft und wir konnten das alles nicht fassen. Als ich dann bei mir zu Hause ankam stand mein Vater schon an der Tür. Er hat mich nur angeschaut und in den Arm genommen. Dann habe ich ihn das erste Mal in meinem Leben weinen gesehen. Er nahm mich nur in den Arm und hat mich festgehalten. Er sagte nur noch: "Oh Gott - so ein toller Junge."

Wenn du hier veröffentlichen möchtest wie und von wem du "die Nachricht" erfahren hast, welche Gedanken und Gefühle du hattest, wie du gehandelt hast, etc. sende deinen Text an dimima@gmx.de. Auf Wunsch kann die Veröffentlichung auch anonym erfolgen.

Von Diana:

Tja, nun soll oder will ich etwas über "die Nachricht" schreiben...

Der 28. war eh kein schöner Tag für mich. Am 30. Juni sollte ich meine letzte mündliche Prüfung haben – Soziologie. Es war schon der zweite Versuch und deshalb hingen mir die Themen zum Halse raus. Ich saß also den ganzen Tag @home und hätte lernen müssen. Das was ich am besten kann, nämlich mich ablenken, hab ich tagsüber auch wieder erfolgreich geschafft, allerdings die ganze Zeit mit einem schlechten Gewissen. Gegen Abend fing ich dann zwangsläufig an. Immerhin wurde die Zeit bis zur Prüfung knapp. Da saß ich nun den ganzen Abend, die ganze Nacht vor dem Computer, hätte kotzen können, weil ich einfach kein Bock auf Prüfungen mehr hatte – und dann noch Soziologie. Was schlimmeres konnte ich mir nicht vorstellen.

Noch vor ein paar Tagen hatte ich einer Freundin eine mail geschrieben, sie solle doch bitte eine Woche vorspulen, damit endlich diese Prüfungen vorbei sind. Doch da wusste ich nicht, dass sich in der nächsten Woche mein Leben schlagartig, komplett verändern würde. Alles hätte ich gegeben, um nach dieser Nacht eine Woche zurückzuspulen...

Zurück zu meinem Lernstress: Wie gesagt, ich saß am PC, wälzte Bücher, jammerte vor mich hin...

...und mein Bruder schlief ein - sauste mit 100km/h gegen einen Baum – der Motorblock wurde nach rechts verschoben – der linke Vorderreifen wurde vom Auto getrennt - der Airbag öffnete sich, doch sein Kopf schlug gegen das Metall - die Organe wurden auseinandergerissen - das linke Bein brach - das Auto flog um den Baum herum und blieb mitten auf der Straße stehen – sämtliche Autoteile verstreuten sich in der Umgebung - das Licht und die Musik gingen aus – das Blut lief aus Nase & Mund - er saß ca. 20 Min. bewusstlos hinterm Steuer, bevor er überhaupt entdeckt wurde...

-ich saß immer noch hinter den Büchern und machte mir Gedanken über die Prüfung, ich habe nix davon bemerkt-

... dann kam eine Zeitungsausträgerin, wunderte sich zunächst über die ganzen Teile, die auf der Fahrbahn lagen, sie machte das Fernlicht an und sah das Auto-Wrack. Ihr erster Gedanke war, dass das Auto nach der Rettung dort vergessen wurde. Doch sie ging hin, erschrak und sah Benni leblos im Auto, angeschnallt sitzen. Die Hände noch so, als ob er das Lenkrad in der Hand hielt. Der Kopf war nach unten geneigt, das Blut lief... Sie rief die Polizei und meldete einen Toten. Doch die Polizei forderte sie auf mit ihm zu reden, ihn anzusprechen. Sie sprach mit ihm, schrie ihn an, er solle ihr ein Zeichen geben wenn er sie hört, er zuckte mit dem Arm...

-wäre ich doch bei ihm gewesen, ich wäre so gern bei ihm gewesen und doch hätte ich ihm nicht helfen können-

...nach einer gewissen Zeit kamen Polizeibeamte aus Hittfeld, sie zogen Benni aus dem Auto heraus. Dann traf der Notarzt und weitere Rettungskräfte am Unfallort ein. Seine blaue Jeans wurde zerschnitten, sie war bereits in Blut getränkt. Benni musste wiederbelebt werden. Irgendwann wurde er dann in den Rettungswagen getragen. Auf der Fahrt musste er nochmals wiederbelebt werden. Sein Zustand war so instabil, dass sie ihn nur ins AKH bringen konnten, obwohl er aufgrund der schweren Kopfverletzungen eigentlich nach Hamburg gemusst hätte...

-während Polizei und Ärzte um Bennis Leben kämpften, wusste ich von alledem nix. Ich hatte keine leiseste Vorahnung-

Gegen 4h beschloss ich ins Bett zu gehen. Ich ging hinunter um das Licht vor der Haustür auszumachen, da es ja schon wieder hell wurde. Wir haben das Licht immer angelassen, bis alle zuhause waren. Ich wunderte mich ein wenig, dass Benni noch nicht da war. Denn meist trafen wir uns nachts, wenn ich am PC saß und er nachhause kam. 4h war keine ungewöhnliche Zeit für Benni, aber immerhin war es die Nacht auf Dienstag – also kein Wochenende. Trotzdem veranlasste es mich nicht dazu mir Sorgen zu machen. Ich machte mich bettfertig, stellte mir den Wecker, machte (um 4:25) das Licht aus – 30 Sekunden später klingelte es Sturm.

„Ohman, Benni“, stöhnte ich und dachte er hätte den Schlüssel vergessen. Schnell zog ich mir noch den Pulli über und lief die Treppen runter – zwei Polizisten standen im schummrigen Licht vor der Glastür. Komisch, dachte ich. Was hat er denn nun angestellt? Ich öffnete die Tür. Einer fragte mich, ob Benjamin Mayer hier wohnen würde. Ich antwortete mit „Ja, er ist mein Bruder“. Und dann folgten die schlimmsten Sätze, die ich je in meinem Leben gehört habe: „Ihr Bruder hatte einen schweren Verkehrunfall. Er ist momentan im AKH. Es sieht sehr schlecht aus.“ In dem Moment blieb mir fast das Herz stehen. WAAAAS!? BENNI!!! NEIN – DAS DARF NICHT WAHR SEIN! Ich rannte zu meinen Eltern ins Schlafzimmer, sagte Benni hatte einen schlimmen Unfall, die Polizei ist hier, ihr müsst sofort aufstehen. Ich rannte wieder hoch zu den Polizisten, bot ihnen freundlicherweise noch was zu trinken an, während ich sie mit Fragen löcherte „Was ist ihm passiert?“ „Wie geht es ihm jetzt?“ „Ist er gefahren?“ „Wie ist das passiert?“ „Wo ist es passiert?“ „Hatte er was getrunken?“ „War noch jemand dabei?“ „Wer hat Schuld?“... Doch die Polizisten konnten mir auf keine Frage eine Antwort geben, verneinten das Angebot etwas zu trinken, geschweige denn sich zu setzen und machten mir klar, dass wir schnellstmöglich ins Krankenhaus fahren sollten, da er jeden Moment sterben könne. In dem Moment kamen meine Eltern hoch. Ich zog mir nur schnell eine Hose an, setzte ein Cappi auf, nahm das Handy und Zigaretten und fuhr los. Die Fahrt dauerte zwar nur 2 Minuten, aber die 2 Minuten schrie ich so lauthals, ich rief BENNI so laut, dass ich fast heiser war als ich ankam. Um 4:33h löste ich bereits das Parkticket am Eingang vom AKH. Ich hetzte zur Anmeldestelle, fragte nach Benjamin Mayer, schwerer Verkehrunfall – doch der Mann am ‚Schalter’ sagte mir ich solle mich erst mal beruhigen. Doch das ging natürlich nicht. Bald kamen Mama & Papa, doch auch sie bekamen zunächst keine Auskunft. Ich fing an sämtlich Freunde anzurufen und eine Zigarette nach der nächsten zu rauchen, dabei lief ich draußen wie wild auf und ab. Dann endlich kam eine Ärztin. Es war eine junge, sehr freundliche Ärztin. Doch was sie uns sagte, stimmte uns nicht gerade fröhlich. Sie erklärte uns Bennis Zustand und sagte uns, dass er momentan noch im OP ist. Sie wollen versuchen die Blutungen zu stoppen und einen Eindruck über den Zustand der Organe bekommen. Doch von vornherein sagte sie uns, dass die Überlebungschancen nur sehr, sehr gering sind. Und selbst wenn, wäre er nicht mehr der Benni, den wir kannten.

Sollte er die nächsten Stunden wieder stabil werden, müsste er nach Hamburg verlegt werden, da sie ihm nur dort die Schädeldecke öffnen können und das wäre zwingend erforderlich, um bleibende Schäden zu verringern, da sich das Gehirn nach dem Aufprall ausdehnen müsste (ähnlich wie ein angeschwollener Knöchel) und dies durch die Schädeldecke verhindert wird. Doch dazu kam es gar nicht....

Ich versuchte weiterhin alle möglichen Leute anzurufen – wie in Trance erzählte ich immer wieder dieselbe Geschichte. Irgendwann traf eine Freundin ein, die sich nach meinem Anruf aus Neetze auf den Weg gemacht hat. Nun saßen wir dort zu viert und warteten, warteten wieder auf die Ärztin. Wir waren trotzdem noch voller Hoffnung. Ich sagte zu Mama, dass wir es schaffen werden. Dass wir beide Benni pflegen. Dass Benni kämpfen wird, er ist eine Kämpfernatur. Doch diesen Kampf hat er verloren...

Irgendwann kam dann die Ärztin wieder. Sie erklärte uns, dass sie ihm nicht helfen können, da das Blut durch die vielen kleinen zerstörten Adern immer wieder versickert. Zudem habe sich im Lendenbereich ein großer Blutklumpen angesammelt, der im Falle des Überlebens höchstwahrscheinlich zu einer Querschnittslähmung führen würde. Außerdem sind nahezu alle Organe nicht mehr einsatzfähig, sie wurden durch den Aufprall zerrissen. Dazu kam noch eine schwere Beinverletzung und die oben genannte Problematik mit dem Kopf.

Mit diesen Informationen wurden wir erstmal gegen 8h wieder nachhause geschickt – ohne Benni bis dahin gesehen zu haben. Diese 3,5 Stunden kamen mir wie eine Ewigkeit vor, andererseits vergingen sie (im Nachhinein) wie im Fluge. Gegen 9:00h sollten wir wiederkommen.

Da waren wir nun zuhause, und nun? Ich ging in Bennis Zimmer. Sein PC lief – wie immer. Die icq-Nachricht, die ich ihm um 23:50h geschickt hatte blinkte noch fröhlich vor sich hin – und er hat sie nie gelesen. Und dann wurde Benni von einem Freund angeschrieben. So erfuhr ich, dass Benni noch bis 2h bei Freunden war und er erfuhr, dass Benni im Sterben liegt. Er war schon bei der Arbeit, wollte gleich ins Krankenhaus fahren, um Benni zu besuchen. Auch er verstand nicht, wie schlimm es wirklich war.

Pünktlich um 9:00h waren wir wieder im Krankenhaus. Nun warteten wir nicht mehr in der Eingangshalle, sondern vor der Intensivstation. Ein anderer Arzt kam zu uns, um uns nochmals die Situation zu erklären. Dann kam der Chefarzt, ein Vater eines Freundes von Benni. Er bereitete uns auf das was uns nun bevorstand vor. Der Abschied. Um 9:30h wurden wir zu ihm gelassen. Ein kleiner Raum, ein Einzelzimmer mit Fensterfront, in der Mitte das Bett, ringsherum Geräte. Da lag er nun – mein Bruder. Das letzte Mal, dass ich ihn sah. Er sah ganz normal aus. Das linke Auge war ganz blau und angeschwollen, aber sonst sah er aus wie immer - zumindest das was unter der Decke hervorguckte. Es führten Schläuche in Bennis Mund und Nase. Er wurde künstlich beatmet. Sein Brustkorb hob und senkte sich. Ich hielt meine Hand auf seine Brust und spürte ihn atmen – ein letztes Mal. Ich streichelte seine Hand, seinen Arm, sein Gesicht. Ich fuhr ihm durch seine Haare, sah in an. Ich redete mit ihm, küsste ihn und machte kleine Scherze. Dann verunstaltete ich seine Frisur und schnitt ihm ein paar Haare ab, die ich mit nachhause genommen hab. Um 09:45h kam jemand hinein und sagte uns, dass nun die Maschinen abgestellt werden. Benni machte seinen letzten Atemzug und wir standen hilflos daneben.